Rohstoff Kalkkasein

Kalk und Casein nicht nur ein Rohstoff

Nach dem wir in den letzten reichlich zwanzig Jahren mehr oder weniger alle dem Baumarkt-Syndrom unterlegen waren, kehrt langsam wieder eine Rückbesinnung auf ehrwürdige Baustoffe und Handwerkstraditionen ein. Habe ich vor einigen Jahren auf die Frage, "ob ich jene Leistung gut und billig ausführen kann", oft geantwortet,

"Sie müssen sich schon für eine Variante entscheiden!".

Heute scheint es mir doch möglich und dabei sogar noch nachhaltig zu sein, da man bei all den industriell hergestellten, teuren Farben und Baustoffen, kaum die Reste einfach ins Klo kippen kann, ohne gleich Mitschuld am nächsten Umweltskandal zu sein. Als ich vor reichlich zehn Jahren die ersten Erfahrungen mit Casein Farben machte, traute der damalige Bauherr mir kaum, als ich mit einem Eimer Kalk und drei Bechern Quark seine Fassade streichen wollte und dabei nicht einmal einen Bruchteil von dem Preis für einen Eimer Spezialfassadenfarbe ausgegeben hatte.

Der Rückweg und dessen Besinnung darauf ist nicht gerade einfach, weil das tradierte Wissen fast ausgestorben ist, denn es gibt kaum Aufzeichnungen, denn sie wurden im jeder Zunft vom Meiser zum Gesellen von "Herz zu Herz" mündlich, in der täglichen Arbeit, weitergegeben. So war selbst für meine Generation, mit der Einführung der industriellen Produktion, der Weg zu diesem Wissen schon abgeschnitten und die Umkehr zu vernünftigen Herstellungmethoden nur im Selbstversuch nicht selten auch mit bitteren Erfahrungen gepflastert, möglich. Nicht das ich heute behaupten könnte, all dieses Wissen wieder entdeckt zu haben, was in den letzten 100 Jahren verloren gegangen ist, aber heute habe ich durch unfassendes Studium der bestehenden Literatur und dem Experiment auf der Baustelle eine solide Basis geschaffen, die sich auf Grund er eigenen Erfahrungen weiter ausbauen. Es eröffnet sich ein Feld, das ungeahnte Möglichkeiten bietet und in der heutigen Zeit an vielen Stellen Antworten auf dringende Fragen gibt. Fast alle instriell hergestellte Bindemittel, Trockenmörtel und Farben werden aus Stoffen hergestellt, die entweder selbst aus begrenzten Rohstoffen gewonnen werden oder diese im höheren Maß bei der Verarbeitung bedürfen. Die Zerstörung der Umwelt findet schon vor der Belieferung auf der Baustelle oder beim Einkauf statt. Sicherlich ist auch die Verwendung von tradierten Baustoffen nicht der einzige Ausweg, aber ein Entscheidender, weil er energieärmer, ressourcensparender und nicht selten sogar preislich besser ist, aber auch genügend Erfahrungen bei seiner Verarbeitung voraussetzt. Zusätzlich benötigt er in vielen Bereichen auch die kostenintensiven Maschinen und Geräte nicht, die bei einer genauen Betrachtung auch mit in den Endpreis einfließen. Da der Akkord von den eigentlichen Handwerksarbeiten auf die mechanisierten Herstellungsverfahren übergegriffen hat, entsteht so für die Handwerkstradition eine echte Chance.

In meiner Kindheit gab es in jeden Dorf, um nicht zusagen hinter jedem Haus eine Kalkgrube. Er wurde doch für vieles verwandt, den Moosbefall auf der Wiese, für die schnellere Zersetzung unser Stoffwechselendprodukte im Plumsklo oder als Anstrich in den Stallungen, die damals trotz Kollektivierung viele auf dem Dorf noch zu Hause nutzten. Jeder wußte, wo er Lehm für den Ofen fand. Aber all dieses Wissen ist in den Hintergrund gerückt. Es vergeht kaum eine Woche, wo wir nicht mit einer Neuerung beglückt, werden, die sich am Ende wieder nur als Trugschluß erweist und uns weiter in unserem Dilemma verstrickt.

Ungeachtet von dieser Möglichkeit ist das Produkt, bei sorgfältiger Verarbeitung und fachlicher Komptenz den heutigen Produkten konkurrenzfähig, weil seine Haltbarkeit sich nicht auf wenige Jahre über der Gewährleistung ersteckt, sondern in Jahrzehnen bemessen werden kann, wenn man das Gebäude als Ganzes betrachtet und eine entsprechende Pflege regelmäßig dem Produkt angedeihen läßt. Nach vielen Untersuchungen kommt heute noch hinzu, das all die neuen Stoffe für den Verarbeiter wie für den Benutzer erheblich größere gesundheitliche Risiken verbunden sind, die herkömmliche Materialien nicht aufweisen können. Aus diesem Grund ist ein reiner Preisvergleich, der all diese Tatsachen unberücksichtigt läßt, zu kurz betrachtet. Nicht selten sind Reparaturen an modernen Putzen und Anstrichen schon nach wenigen Jahren nötig, die in den Vergleich nicht einberechnet werden.

Michael Schmidt